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Sektion I Zur Analyse von Friedensende und Friedensanfang: Theoretische Ansätze und Konzepte
Sektion I
Zur Analyse von Friedensende und Friedensanfang:
Theoretische Ansätze und Konzepte
Prof. Dr. Dr. Guido Braun, Université de Haute- Alsace, Mulhouse
Vom Frieden zum Krieg und vom Krieg zum Frieden: Frühneuzeitliche Perspektiven der Historischen Konflikt- und Friedensforschung
Die Frage, wie (und wann) Frieden entsteht, bewegt die Menschheit heute ebenso sehr wie in vergangenen Jahrhunderten. Dahinter steht das grundsätzliche Problem, was den „Frieden“ überhaupt ausmacht und wodurch er sich vom diametralen Gegenbegriff „Krieg“ unterscheidet, wann der eine Zustand beginnt und der andere endet, ob sich vielleicht Schnittmengen ausmachen lassen, die eine eindeutige Zuordnung erschweren oder gegebenenfalls unmöglich erscheinen lassen. Der Vortrag versucht Erklärungsmodelle und Impulse zur Annäherung an diese Frage aus der Sicht der Historischen Konflikt- und Friedensforschung im Hinblick auf die Frühe Neuzeit und dabei besonders auf den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden zu geben. Gerade die Frühneuzeit bietet für diese Fragestellungen reiches Anschauungsmaterial, zum einen als Verdichtungsraum kriegerisch-militärisch ausgetragener Konflikte, zum anderen aufgrund der vielfältigen Konzepte, Strategien und Instrumente, mit deren Entwicklung Fürsten, Räte, Diplomaten und Friedensdenker auf das Konfliktpotential ihrer Zeit reagierten. Der Versuch, Antworten auf die Frage nach der Differenzierung zwischen Frieden und Krieg sowie nach ihrem jeweiligen Anfang und Ende zu geben, muss dabei notwendigerweise verschiedene Deutungsebenen einbeziehen: Auf den ersten Blick scheint die juristisch-völkerrechtliche Ebene die klarsten Differenzierungsoptionen zu bieten, faktisch weist die Anwendung ihrer Konzepte jedoch nicht immer auf den „richtigen“ oder einen eindeutigen Wendepunkt hin. Auch im 17. Jahrhundert wurden Kriege ohne Kriegserklärung geführt und die Unterzeichnung des Friedensvertrages brachte nicht unmittelbar konkrete Friedenserfahrungen für breitere Bevölkerungsschichten. Schon über die Frage, wann die Feindseligkeiten einzustellen seien und welche Eroberungen jeweils noch einbehalten werden dürften, waren sich die Unterhändler des Westfälischen Friedenskongresses lange Zeit keineswegs einig. Wo also liegen die „points of no return“ in den völkerrechtlichen, aber auch politischen und militärischen Übergangsprozessen zwischen Frieden und Krieg und vice versa? In dieser Hinsicht versucht der Vortrag exemplarisch zu zeigen, dass die „Rekonstruktion“ des Friedens bereits im Krieg selbst begann, ja teils von dessen Ausbruch an in Angriff genommen wurde. Zugleich verdeutlicht er, dass längst nicht jeder eingeleitete Friedensprozess zum Erfolg führte, und fragt den Voraussetzungen und Bedingungen für die Herstellung von Friedensfähigkeit einer- sowie „failed negotiations“ andererseits. Noch vielschichtiger und komplexer erweist sich das Problem, wenn Frieden nicht als rechtliche, sondern als soziale, wirtschaftliche und/oder kulturelle Kategorie konzeptualisiert wird. So erweisen sich etwa „Vorkriegszeiten“ mit ihren einen kommenden Konflikt antizipierenden Zukunftserwartungen in bestimmten Fällen als handlungsleitend für ein entsprechendes „Vorkriegshandeln“. Anthropologische Konfliktbewältigungs- bzw. -verarbeitungsmuster werden insofern auch bereits in Vorkriegszeiten fassbar. Der Vortrag stellt entsprechende Erklärungsansätze und -konzepte vor und bezieht unter besonderer Berücksichtigung des Dreißigjährigen Krieges und Westfälischen Friedens Position zu ihren Erkenntnispotentialen und -grenzen, insbesondere hinsichtlich ihrer Fruchtbarmachung für transepochale Fragestellungen.
Prof. Dr. Anna Geis, Helmut-Schmidt Universität Hamburg
Vom “negativen” zum “positiven” Frieden: Herausforderungen einer langfristigen Konflikttransformation aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
Die Zahl zwischenstaatlicher Kriege im internationalen System ist seit dem Zweiten Weltkrieg stark zurückgegangen. Innerstaatliche Gewaltkonflikte dominieren das Kriegsgeschehen. Nach dem Scheitern des Völkerbunds existiert seit 1945 in der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) eine globale internationale Organisation, deren selbstgestellte Aufgabe keine geringere als die „Sicherung des Weltfriedens“ ist. Die vielfältige Kritik an der UNO ist bekannt und soll hier nicht wiederholt werden. Bedeutsam ist indes die Rolle des UNO-Sicherheitsrats für die globale Normentwicklung im Bereich der Friedensförderung und Konfliktbeilegung. Seit Ende des Kalten Krieges lässt sich weltweit eine zunehmende Interventionstätigkeit beobachten – teils auf Basis von UNO-Mandaten, teils ohne, teils mit friedlichen Mittel, teils gewaltsam –, die den Verlauf von Gewaltkonflikten ganz erheblich beeinflussen kann.
Wendepunkte in Gewaltkonflikten lassen sich meist erst im Nachhinein erkennen. Oft entstehen diese durch die Interventionen von „Dritten“. Diese „Dritten“ können sehr unterschiedliche Akteure sein, sehr unterschiedliche Mittel anwenden und sehr unterschiedlich zu ihrem Eingreifen legitimiert sein. In diesem Vortrag soll der Fokus auf die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges gelegt werden, in der die Zahl von internationalen Friedensvermittlungen stark ansteigt und es gleichzeitig auch zur Vermehrung von multilateralen Militärinterventionen kommt. Friedensmediation kann von Vertretern einzelner Staaten, von internationalen Organisationen oder von zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen werden. In den multilateralen Militärinterventionen der Zeit nach 1990 spielen dagegen die militärischen Kapazitäten sowie Staats-, Demokratie- und Ordnungsvorstellungen westlicher Demokratien eine besonders wichtige Rolle.
Sowohl Friedensmediationen als auch multilaterale Militärinterventionen zielen zunächst auf die Beendigung der Kampfhandlungen ab, d.h. sie richten sich auf das Erreichen eines sog. „negativen“ Friedens, in der Regel durch Waffenstillstandsvereinbarungen und Friedensabkommen. In der sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung wird allerdings auch seit langem davon ausgegangen, dass ein langfristiger Frieden auf weit „mehr“ beruht als auf der Beendigung von Kampfhandlungen.
In dem Vortrag werden ausgewählte Konzepte aus der sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung (Friedensmediation, „reife Momente“, „demokratischer Frieden“, liberal peacebuilding, „positiver“ Frieden, Versöhnung) herangezogen, um einige der Faktoren zu identifizieren, die zu durch „Dritte“ beförderten „Wendepunkten“ in Gewaltkonflikten führen können bzw. zur Konsolidierung des Friedens erforderlich erscheinen.
Prof. Dr. Bo Stråth, Universität Helsinki
Friedensutopien und Wiederholungsstrukturen
Der Beitrag wird die theoretische Reflektion empirisch aufbauen auf die Periode seit der französischen Revolution/der Napoleonischen Kriege und die drei Frieden in den Jahren 1815, 1919, 1945. Die Skizze wird 1815 mit 1648 verbinden und die Rolle der sozialen Frage seit dem 19. Jahrhundert als Katalysator zwischen Frieden und Krieg hervorheben. Der Fokus auf dem historischen Zusammenhang zwischen welfare und warfare führt zum Argument, dass die Frage von Krieg und Frieden in der Forschung sich nicht auf die Beziehungen zwischen Staaten begrenzen kann, sondern viel systematischer als es jetzt der Fall ist, innenpolitische Faktoren miteinbeziehen muss. Friedensutopien als Teleologie werden kontrastiert mit dem was Reinhart Koselleck Wiederholungsstrukturen genannt hat. Der Beitrag wird auch die utopische Dimension von Friedensverträgen diskutieren unter Bezugnahme auf den finnischen Völkerrechtler Martti Koskenniemi. Der Vortrag will abschließend für eine Globalisierung der Friedensforschung argumentieren. Sie hat allzu lange einen europäischen/westlichen Rahmen mit Ausgangspunkt im westlich konzipierten Völkerrecht gehabt und müsste historische Erfahrungen und Perspektiven aus Afrika und Asien integrieren, jenseits des Kolonialismus und dessen Machtsituation.